Es war einmal der rational denkende Mensch…
«Die Mär vom rationalen Wesen» oder besser «101 Verhaltensmuster für eine bessere User Experience». Um wirkungsvolle Botschaften in Text und Bild entwickeln zu können, wagten wir einen Blick ins Leserhirn.*
Diese Felgen! Diese Formgebung! Dieser Lack! Ich will ihn, den Nissan GTR in Matt-Grau. Fraglos: Ein kurzer Blick auf das Google-Bildportfolio des japanischen Supersportlers auf vier Rädern reicht aus und ich vergesse meinen noch tadellosen Seat Ibiza, Baujahr 2011 – und meine rationale Budgetplanung. Selbstreflektiv gesprochen: Hochglanzbilder und eine Handvoll schlagkräftiger Buchstabenfolgen ziehen und appellieren ans «Man gönnt sich ja sonst nichts!». PR in ihrer simpelsten Form funktioniert, ob analog oder digital. Wenn das Wörtchen «wenn» nicht wäre.
«PsyConversion»: Auf Slalomkurs zur Entscheidung
In den Wirtschaftswissenschaften galt über mehrere Jahrzehnte die Maxim des «Homo Oeconomicus», die besagte, dass Menschen rational denkend ihren Nutzen maximieren möchten. Jüngere psychologische und neurowissenschaftliche Erkenntnisse legen das Veto ein: Wir – und damit sind auch die kaufkräftigen Homo Sapiens gemeint – sind in Sachen Entscheidungsfindung eben nicht besonders wissend.
Radikal gesagt: In 95 Prozent aller Situationen ist der Mensch nicht in der Lage, mit rationalen Argumenten eine Entscheidung zu treffen. Ein Zugeständnis ans Bauchgefühl, das uns Kommunikationsfachleuten den Alltag nicht gerade erleichtert.
Vorgehen: Webseiten werden gezielt mit Behavior Patterns angereichert, um Conversions auszulösen
Menschen entscheiden nur zu 5% rational
«PsyConversion» ist die nächste grosse Chance der Webseiten-Optimierung
Genau diese Analyse der Verhaltensmuster innerhalb der Kaufentscheidung ist Kern des Forschungsstrangs der Behavioral Economics. Die Wissenschaft fokussiert dabei vor allem die unterschiedlichen Entscheidungsmuster, die Heuristiken, und als Konsequenz die Denkfehler und Verzerrungen, die sogenannten «Biases». Zusammengenommen zählen diese Phänomene zu den «Behavior Pattern», zu Deutsch: «Die Schablonen oder Trampelpfade unseres Verhaltens», wie Philipp Spreer in seinem Springer-Fachwerk «PsyConversion» auf den Punkt bringt.
Halten sich Chancen und Risiken die Waage?
Für unsere Kunden formen wir eben diese Buchstabenketten, um deren Geschäft anzukurbeln. Wir schauspielern, versetzen uns in den Botschaftenempfänger, der zum Käufer werden will. Wir sehen in seinen Kopf:
- Kann ich mit diesem Produkt einen Gewinn einfahren oder muss ich mit Verlust rechnen?
- Habe ich etwas Ähnliches, das noch taugt?
- Bin ich damit einer von vielen oder setze ich einen Trend?
- Wie wahrscheinlich ist es, dass sich meine Erwartungen mit dem Kauf erfüllen?
- Was sagt mein Lohnkonto?
- …
Der Vater der «Behavioral Economics», Colin Camerer, sagt dazu:
«Cognition by itself cannot produce action; to influence behavior, the cognitive system must operate via the affective system.»
(Die kognitiven Fähigkeiten können selbst keine Aktion hervorrufen. Um das Verhalten zu beeinflussen, muss das kognitive System über das affektive System, ergo über Emotionen, funktionieren.)
Wir brauchen also Emotionen!
Die Botschaft ist so simpel wie bekannt. Doch: «Kaum eine Webseite spricht unbewusste Verhaltensweisen an», leitet die Zürcher Branchenfachzeitschrift «Marketing & Kommunikation» etwas plakativ in ihren Artikel «So wirken Verhaltensmuster» ein.
Die drei Grundmotive einer Entscheidung sind gemäss Neuromarketer Hans-Georg Häusel, der für unseren Kunden, den Auto Gewerbe Verband Schweiz (AGVS) am «Tag der Schweizer Garagisten» 2018 als Referent auftrat, das Sicherheits-, das Erregungs- und das Autonomiesystem (Quelle).
Lediglich fünf Prozent der Online-Kaufangebote seien gar aufs Kunden- respektive Käuferhirn massgeschneidert. Das Credo lautet demnach: «Wer mit Verhaltensmustern arbeitet, profitiert.»
An Emotionen lässt sich auf verschiedenen Wegen appellieren (Quelle)
Studien zufolge treten Verhaltensmuster an mehreren Punkten auf der «Customer Journey» auf den Plan der gestaltenden Agenturen. Die Bereitschaft, sich auf einer auf Verhaltensmuster optimierten Webseite informieren zu wollen, steigt im Schnitt um 6,4 Prozent. Ausserdem müssen Gestaltung und Informationsgehalt Hand in Hand gehen. Wird das erfüllt, so diverse Studien, werden bis zu 9,4 Prozent mehr Nutzer zum Kauf eines beworbenen Produkts animert. Hier unsere Top-5 der Nutzer-Denkmuster, an die es zu appellieren gilt:
1. Der «Decoy»-Effect:
Müssen die Menschen zwischen einer günstigeren (A) und einer teureren (B) Variante abwägen, ist die Wahl meist klar. Man reichere die ursprüngliche Auswahl um eine noch teurere Option C, der sogenannte «Decoy» (Köder) an, rückt Produkt B plötzlich wieder in den Fokus.
2. Der «Hobson’s + 1 Choice»-Effekt:
Anders herum bei diesem Effekt, der frei unter dem Motto «Nimm es oder lass es» nur eine Option anbietet. Als eigentliches Placebo wird eine zweite Wahlmöglichkeit erwähnt, die aber das gleiche Ziel verfolgt: Den Nutzer zum Kauf zu animieren. Ein Exempel: Bringen Sie einmal den Link «Jetzt abonnieren» an und ergänzen Sie weiter unten auf der Site noch den Button «Nichts mehr verpassen!» – ihr Newsletter spricht nun schon zwei Interessensgruppen an.
3. Autorität:
Auf wen verlassen Sie sich? Auf gute Bekannte, die Sie in Ihrem Leben weitergebracht haben, und auf Experten. Eine Webseite bedarf demnach eines Gesichts, einer persönlichen Note, die Freundlichkeit, Wissen, Verantwortung, Zugänglichkeit und vor allem Qualität ausstrahlt.
4. Der «Social Proof»:
Fällt eine Entscheidung schwer, hilft ein Blick nach links und rechts – jener zur Masse. Gelingt es, Handlungen anderer Menschen glaubhaft wiederzugeben, schafft dies für den Nutzer Orientierung. Innerhalb der Gemischtwarenpalette von Testimonials über Testberichte, Reportagen hinter den Kulissen, Expertenquotes bis hin zu Beiträgen von Influencern und YouTube-Bloggern kann aus dem Vollen geschöpft werden.
5. Der «Endowed Progress»-Effekt:
Der Mensch will sein Gewissen von offenen Pendenzen befreien. Kurzum: Unvollständige Aufgaben wollen vollendet werden. «Wenn Menschen durch einen künstlich geschaffenen Fortschritt schon näher ans Ziel gebracht wurden, steigt ihre Motivation, das Ziel zu erreichen», umschreibt Marketing & Communication das Prinzip. Unsere Botschaften müssen einen Weg ins Belohnungssystem des Nutzers finden.